WIEN. Entscheiden sich (abgewiesene) Asylbewerber zur freiwilligen Rückkehr, geht es meist schnell: Erst wird geklärt, ob es ein Reisedokument gibt oder ob die jeweilige Botschaft ein Heimreisezertifikat ausstellen muss. Dann, ob Geld da ist, um die Heimreise zu finanzieren, oder ob der Staat die Kosten übernehmen muss. Und schließlich wird der Flug gebucht. „Heimreisezertifikate zu bekommen ist bei uns meist kein Problem, da die Leute ihre Daten ja freiwillig zur Verfügung stellen und mitunter auch ihre Identität richtigstellen“, sagt Günther Ecker vom Verein Menschenrechte, der seit Jahren für das Innenministerium in der Rückkehrberatung aktiv ist. „Da wurde schon aus manchem Minderjährigen ein Volljähriger und aus manchem Iraker ein Ägypter“, sagt Ecker. Syrien sei die Ausnahme: „Es gibt kaum Rückkehrer nach Syrien“, sagt er.
Wohin sollten sie auch zurückkehren? Fast alle erhalten auch Asyl. Schwieriger wird es, wenn jene, die einen negativen Bescheid bekommen, nicht wegwollen. 80 Prozent gehen einmal in Berufung. Selbst wenn das nichts nützt, können sie oft nicht abgeschoben werden: Wenn ihr Heimatland kein Heimreisezertifikat ausstellt. Die Statistik für das Vorjahr liegt noch nicht vor. Doch 2014 gingen 14.500 Verfahren (9000 Asyl, 4000 subsidiärer Schutz, 1500 humanitäres Bleiberecht) laut Asylstatistik rechtskräftig negativ aus. Aber nur 5000 Menschen wurden abgeschoben oder gingen freiwillig. Tatsache ist, dass Tausende „weiterwandern“, um in einem anderen EULand zu einem legalen Status zu Abgelehnte Asylbewerber müssen Österreich verlassen. Doch die Realität sieht anders aus. Was Österreich dagegen tun kann. Und wo die Behörden machtlos sind. Wer einmal da ist, der bleibt auch meist kommen. 2014 „verschwanden“ so rund 5000 Personen in Österreich, 2015 waren es laut Innenministerium etwa 8000. Tatsache ist, dass jene, die nicht abgeschoben werden können, weder Aufenthalts- noch Arbeitsrecht in Österreich haben, aber trotzdem hier oder irgendwo in der EU leben. Ein Dilemma.
Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, der neue Mann fürs Grobe bei der SPÖ, sagte jüngst im „Spiegel“-Interview: „Jeder weiß doch, dass die Rückführung nicht funktioniert (. . .). Wir haben heute ein Asyl-Regime, in dem bis zu 95 Prozent aller Bewerber am Ende hier bleiben dürfen in Europa, egal was die Bewerber sagen, egal was die Fremdenpolizei feststellt.“ Wie er auf diese Zahl komme? „Aufgrund seiner Erfahrung“ gehe der Minister von einer hohen Dunkelziffer aus, sagt sein Sprecher. Doch selbst Zahlen der EU-Kommission belegen, dass nur 40 Prozent der abgelehnten Asylbewerber Europa wieder verlassen, bei afrikanischen Ländern ist es sogar nur ein Drittel.
Ein Umstand, der den österreichischen Vertreter des UNO-Flüchtlingsbüros jüngst anregte, ein konsequentes Vorgehen der Regierungen zu fordern, da die hohe Zahl derer, die keinen Anspruch auf Asyl hätten, das System auf Kosten jener belaste, die Schutz brauchten. In Österreich standen im Vorjahr 90.000 Asylanträgen 8365 Außerlandesbringungen gegenüber. Zwei Drittel gingen freiwillig, ein Drittel wurde abgeschoben (teils in andere EU-Länder). SPÖ und ÖVP wollen die Zahl der Rückführungen nun massiv erhöhen. 12.000 sollen es dieses Jahr sein, 50.000 bis 2019. Schweden, das noch mehr Migranten aufgenommen hat als Österreich, will bis dahin 80.000 Menschen ausweisen. Der Weg dorthin geht über mehr Rückkehrberatung und Rückführabkommen mit Ländern, die ihre Bürger nur ungern zurücknehmen.
Dann passiert das: Selbst jene, die schon in Schubhaft sitzen, müssen wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Bei der Rückführung von Pakistanern etwa beklagt die EU massive Probleme, obwohl es ein Rückführabkommen gibt. Im Dezember schickte das Land sogar einen Abschiebeflieger wieder zurück. Die EU-Länder prüften die Identität der Deportierten nicht genug, hieß es. Hinter Syrern, Afghanen und Irakern sind die Pakistaner (etwas mehr als 3000 im Vorjahr) die viertgrößte Asylbewerbergruppe in Österreich. Die Anerkennungsquote liegt bei etwa neun Prozent. Probleme gibt es auch mit den Maghrebstaaten. 2015 suchten rund 1500 Marokkaner und Algerier um Asyl an.IhreChancen sind gleich null. 99 Prozent der marokkanischen Antragsteller werden abgelehnt und müssten das Land verlassen. Das passiert aber kaum, nicht einmal, wenn sie straffällig geworden sind.
Der Ex-Chef der Wiener Fremdenpolizei sagte schon 2011 in seltener Offenheit: „Wir bringen höchstens 20 Prozent der Menschen weg, die nicht im Land sein sollten.“ Die EU verhandelt seit 2003 mit Marokko über ein Abkommen. Bisher ohne Erfolg.Österreich will nun wie Deutschland ein bilaterales Abkommen unter anderem mit Marokko schließen. Noch im März, heißt es, werden die Innenministerin und der Verteidigungsminister nach Rabat zu Verhandlungen reisen. Laut Rückkehrberater Ecker entscheidet sich in der Schubhaft noch jeder Fünfte für die freiwillige Rückkehr.
Die Regierung will freiwillige Rückkehrer künftig stärker belohnen. Motto: Wer früher geht, kriegt mehr Geld. „Viele Menschen kommen mit völlig falschen Erwartungen“, sagt Ecker. Statt im goldenen Westen landen sie im Massenquartier. Der Andrang bei der Rückkehrberatung sei jedenfalls enorm. „Seit letztem Oktober haben wir doppelt so viele Rückkehrer beraten wie normalerweise.“ Möglich also, dass die Regierung ihr Ziel heuer schafft.
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Maria Zimmermann | 03. März 2016