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Neuere Artikel                                                   28.10.2009                                                  Ältere Artikel


Hunger nach Asyl
© DIE ZEIT

In Österreich treten jährlich Hunderte Schubhäftlinge in Hungerstreik. Die Regierung reagiert auf den Hilferuf mit einem verschärften Asylrecht.

Wieder einmal gingen die Wogen hoch, als vergangene Woche im Nationalrat eine neuerliche Novelle des Fremdenrechts beschlossen wurde. Trotz der empfindlichen Verschärfungen wetterten die Hardliner aus den Reihen von FPÖ und BZÖ gegen die neuen Regeln. Kriminelle Asylwerber? Abschieben! Schengenvertrag? Weg damit! Lautstark polterte die Rechte im Plenum. Der freiheitliche Abgeordnete Walter Rosenkranz sah in der Novelle gerade einmal ein "Reförmchen", mit der es nicht gelinge, "das Übel an der Wurzel zu bekämpfen". Das Übel, das sind für den Scharfmacher jene Asylwerber, die Gesetze schamlos ausnützen würden, um an Sozialleistungen und finanzielle Unterstützung heranzukommen. Geld vom Staat hatte Gurpreet Gagendeep Singh Ghera nie bekommen. Der Inder starb am 14. September um 7.15 Uhr im Polizeianhaltezentrum Wien Hernals. An Herzversagen, wie der Gerichtsmediziner später feststellte. Sechs Wochen lang hatte der 32-Jährige versucht, sich aus der Schubhaft zu hungern. So wie rund ein Drittel der gegenwärtig 5398 Schubhäftlinge. Möglicherweise hatte Ghera eine unbemerkte Herzschwäche, und die Belastung durch den Hungerstreik war zu groß gewesen.

Drei Jahre hatte er in Wien als Zeitungskolporteur gearbeitet, alle zwei Wochen schickte Ghera einen Teil des verdienten Geldes nach Hause in die nördliche Provinz Punjab. Dorthin sollte er zurückgebracht werden, zurück zu seinen Schulden, die er für seine Reise nach Europa gemacht hatte, zurück zu einer enttäuschten Familie. Also wehrte sich Ghera mit dem einzigen Mittel, das ihm noch zur Verfügung stand: Hungerstreik. Ein letzter, verzweifelter Versuch, sich aus der Schubhaft freizupressen. Zu dieser Ultima Ratio zu greifen ist keinesfalls ungewöhnlich: Jährlich verweigern in österreichischen Gefängnissen an die tausend "Schüblinge" die Nahrung.

"Hungerst du der Tage drei mal drei, kommst auch du noch frei"

Durchschnittlich 13 Tage rühren die Inhaftierten ihre Teller nicht an, ehe sie aufgrund ihres körperlichen Verfalls für haftunfähig erklärt und entlassen werden müssen. "Hungerst du der Tage drei mal drei, kommst auch du noch frei", lautete in den neunziger Jahren ein zynischer Knittelvers, als die Zahl der Schubhäftlinge erstmals stark angestiegen war. "Wer einmal mittels Hungerstreik aus der Schubhaft gekommen ist, wird auch am ersten Tag einer erneuten Schubhaft wieder in Streik treten", sagt Günter Ecker, Leiter des Vereins Menschenrechte Österreich: "Es funktioniert, und deshalb wird dieses Mittel angewandt."

Einen Monat nach dem Tod des abgelehnten Asylwerbers aus Indien versuchen im Anhaltezentrum Hernals rund 15 Prozent der Schubhäftlinge sich aus dem Zellentrakt zu hungern. "In zwei Wochen werden es wieder mehr sein", prophezeit Kommandant Diethmar Huber. Was bei Ghera schiefgegangen ist, kann er sich nicht erklären: "Natürlich ist die Betreuung im medizinischen Bereich immer verbesserbar, aber im Großen und Ganzen ist sie gut."

Die Nahrungsverweigerer sind im "Hungerstock" eingesperrt, wie die erste Etage des Hauses genannt wird. Untergebracht in Sieben-Mann-Zellen gleich neben der Sanitätsstelle. Dort dösen sie in Einzelbetten statt der üblichen Stockbetten vor sich hin. "Wegen der Schwäche", sagt Huber. Dreimal am Tag wiederholt sich ein absurdes Ritual: Die Tabletts mit der Gefängniskost werden in die Zellen gebracht, eine halbe Stunde später holt ein stoischer Essensausteiler die unberührte Verpflegung wieder ab.

Auch Shaheen Rathor, Gheras Schubhaftbetreuerin vom Verein Menschenrechte Österreich, war damals nichts Besonderes aufgefallen. Seit sechs Jahren arbeitet die gebürtige Pakistanerin für den Verein. An diesem Nachmittag stehen vier Inder, zwei Pakistani und ein Bangladeschi auf Rathors Liste. "Die meisten, die in den Westen aufbrechen, um das große Geld zu machen, haben von Asylbestimmungen und Gesetzeslage keine Ahnung", sagt Rathor. Wenn sie dann zufällig von der Polizei aufgegriffen werden, würden viele eine falsche Identität angeben. Dass dieser Trick Wunder wirke, hat man ihnen meist noch daheim weisgemacht.

So wie Anil K. aus dem Pandschab: klein, mit strahlendem Lächeln und leicht gewölbtem Bäuchlein über den tiefhängenden Jeans, geschätzte Mitte 20, aber laut eigenen Angaben gerade einmal 16 Jahre alt. Tags zuvor war er mit dem Moped unterwegs, um Pizza auszuliefern, als ihn ein Polizist anhielt. K. hatte ungültige Papiere, nun soll er abgeschoben werden. Betreuerin Rathor erklärt ihm, eine sogenannte freiwillige Rückkehr sei das Beste für ihn. Der Rückflug werde vom Staat bezahlt, zusätzlich erhalte jeder Heimkehrwillige 370 Euro "Rückkehrhilfe", wenn er nicht in Schubhaft genommen werden müsse. Sei er bereits inhaftiert, schmelze der Betrag auf maximal 70 Euro. Die Möglichkeit einer freiwilligen Rückkehr bestehe allerdings nur ein einziges Mal. Werde man erneut in Österreich aufgegriffen, erfolge das übliche Abschiebungsprozedere.

Anil K. ist einverstanden. Mit trotzigem Grinsen erklärt er, er wolle ohnehin nicht bleiben. Sein Landsmann Gurjit S. hat weniger zu lachen. Er sitzt das sechste Mal in Schubhaft. Bisher konnte er einer Abschiebung immer entgehen, weil seine tatsächliche Identität unbekannt geblieben war. Seit 2001 sei er in Österreich, erzählt der 29-Jährige. Bisher habe er die Schubhaft immer geduldig abgesessen und war nach sechs oder zehn Monaten wieder seiner Arbeit als Zusteller nachgegangen. "Jetzt habe ich keine Chance mehr, zu bleiben", sagt S. leise und fährt sich mit der knochigen Hand über das millimeterkurz geschorene Haar. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, obwohl seine 17-jährige Frau schwanger ist. Bald wird Gurjit S. im Flugzeug nach Indien sitzen. Seine Frau, eine Aserbajdschanerin, bleibt in Österreich zurück. Ihr Asylantrag wurde anerkannt.

Nur eine von vielen tragischen Geschichten, die Flüchtlingsbetreuerin Rathor zu erzählen weiß. Neben den meisten Namen auf ihrer Besucherliste stehen in Klammern Ziffern. 1, 2, 3, 4, manchmal auch 6. Sie besagen, wie oft einer ihrer Schützlinge bereits in Schubhaft gesessen hat. Oft, berichtet sie, würden Schubhäftlinge, die bereits ihr Einverständnis zur Abschiebung gegeben hätten, einen Rückzieher machen und einen neuen Asylantrag stellen. Sogar am Flughafen, unmittelbar vor dem Abflug, hätten sich manche noch anders entschieden. Dann beginnt der unselige Kreislauf von Neuem. Und für Rathor geht der ärgerliche Papierkrieg wieder von vorn los.

Allerdings ziehen viele das ungewisse Dasein eines U-Boots in Österreich immer noch dem vor, das sie in der Heimat erwartet. Für die verlockende Chance, einen – wenn auch schlecht bezahlten – Job zu finden und irgendwann einmal vielleicht sogar ein relativ normales Leben zu führen, nehmen sie sogar die oft menschenunwürdigen Haftbedingungen in Kauf.

Das soll sich nun ändern. Mit Inkrafttreten der Fremdengesetz-Novelle zum Jahresbeginn 2010 werden die Asylverfahren beschleunigt und Abschiebungen erleichtert. Die Möglichkeit, direkt vor der Ausweisung einen Folgeantrag aus der Schubhaft zu stellen und das Verfahren in Österreich abzuwarten, wird es nicht mehr geben. Der Antragsteller wird im Regelfall künftig den Bescheid im Ausland abwarten müssen. Auch sogenannte Dublin-Fälle, Asylwerber, die ihren Erstantrag in einem anderen EU-Land gestellt haben, werden in Zukunft bis zu ihrer Ausweisung in Schubhaft genommen. Besonders drastisch sind die Verschärfungen für jene Asylwerber, die straffällig geworden sind. Bei Anklage wegen einer Vorsatztat soll künftig ein beschleunigtes Verfahren angewandt werden. Migranten, die wegen einer schwerwiegenden Straftat verurteilt wurden, soll der Asylstatus aberkannt werden können.

Während Grüne und Menschenrechtsorganisationen gegen den harten Kurs auf die Barrikaden steigen, nimmt Günter Ecker, Leiter jenes Vereins, der seit seiner Gründung vor sechs Jahren die Schubhaftbetreuung nahezu monopolisiert hat, die restriktiven Zuspitzungen locker. "Gegenwärtig führt man Verfahren, die nicht lösbar sind. Asyl ist zu einer Ruhezone für Kriminelle geworden", behauptet der Mittvierziger. Man müsse die Schutzwürdigen herausfiltern, ehe das System unglaubwürdig werde. "Bisher brauchte man nur Asyl zu sagen, und die Abschiebung musste abgebrochen werden." Nun werde die "Misere" abgeschwächt, die einerseits von einer "zögerlichen Politik" und anderseits von "Hilfsorganisationen, welche die Lage einseitig eingeschätzt haben" verursacht worden sei: "Man hätte von Anfang an kommunizieren müssen: Straftäter raus aus dem Asylsystem."

Quelle: DIE ZEIT, 29.10.2009 Nr. 45

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