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Neuere Artikel                                                   24.09.2009                                                  Ältere Artikel


Namenlos aus der Schubhaft
© Wiener Zeitung

Der Tod eines Schubhäftlings, der seit Anfang August in Hungerstreik war, wirft viele Fragen auf

Von Werner Grotte Viele Fremde verweigern Identität.
Ohne Dokumente keine Abschiebung.
Jeder Zweite kann Freigang "ersitzen".

Wien. Nach dem immer noch nicht restlos geklärten Tod eines indischen Schubhäftlings am 14. September taucht immer wieder die Frage auf, warum viele Fremde monatelang in Schubhaft sitzen und nicht rascher abgeschoben werden. Als Hauptgrund dafür nennen Experten die Tatsache, dass immer mehr illegale Einwanderer den Behörden nicht verraten, wer sie sind. Gut beraten in heimischen Gesetzeslücken, spekulieren sie damit, ohne gültiges Reisedokument nicht abgeschoben zu werden. Im Vorjahr verhinderte auf diese Art etwa jeder zweite der rund 5400 Schubhäftlinge bundesweit erfolgreich seine Abschiebung und ging frei.

"Egal womit oder wohin jemand aus Österreich abgeschoben wird, er muss ein gültiges Reisedokument besitzen. Gelingt es der Behörde nicht, ihm ein solches zu besorgen, muss sie ihn spätestens nach zehn Monaten Schubhaft freilassen", erklärt Günter Ecker vom Verein Menschenrechte Österreich, der im Auftrag des Innenministeriums (BMI) Fremden bei der Rückkehr in die Heimat beisteht.

Hinter dieser bürokratisch anmutenden Regelung stecken durchaus praxisbezogene Gründe: "Die meisten Länder nehmen Abgeschobene nur zurück, wenn wir ihnen die Staatszugehörigkeit einwandfrei beweisen können", weiß Ecker. In Ländern wie Gambia oder Nigeria komme es sogar vor, "dass wir mit Leuten, deren Identität klar ist, wieder nach Österreich zurückfliegen müssen, weil man ihnen einfach die Einreise verweigert".

Nicht jeder illegal nach Österreich Eingereiste stellt sich dem Nervenkrieg: Rund 800 Fremde ohne Aufenthaltstitel traten heuer freiwillig die Heimreise an und kamen dadurch – abgesehen vom Gratis-Heimtransport ohne Polizei-Eskorte – in den Genuss materieller Rückkehrhilfen.

Eine wesentlich größere Zahl Fremder (im Vorjahr 2700) wird gemäß der Dublin-Konvention bereits unmittelbar nach dem Aufgriff hierzulande in jenes EU-Land rückgeführt, wo erstmals Asyl beantragt wurde. "Viele dieser Leute stellen in verschiedenen Ländern Anträge, oft auch unter verschiedenen Namen, und hoffen, dass einer durchgeht", erzählt BMI-Sprecher Rudolf Gollia.

Mehrfach-Asylwerber

Um dem zu begegnen, wurde 2003 die "Eurodac"-Datei angelegt, in der europaweit Fingerabdrücke von Asylwerbern oder aller ohne Aufenthaltstitel festgenommener Personen gespeichert werden. Mittlerweile starten fast täglich vom BMI oder der EU-Grenzschutzorganisation Frontex gecharterte Busse und Flugzeuge, die Mehrfach-Asylwerber zurückschieben. Was bleibt, sind immer mehr illegal Einreisende, die ihre Identität nicht preisgeben wollen, oft mit abenteuerlicher Begründung: "Viele wollen überhaupt nie Papiere besessen haben, andere behaupten, der Schlepper habe sie ihnen abgenommen, andere sagen einfach, sie hätten ihre Papiere verloren", erzählt ein Wiener Fremdenpolizist.

Gibt es vom Betreffenden keine Fingerabdrücke in Europa, wandert er in Schubhaft – und das Spiel beginnt. "Die Beamten müssen nun versuchen, die Identität des Betreffenden zu recherchieren, was meist in sehr sensible Recherchen bei den jeweiligen Botschaften mündet", erklärt Ecker. Zunächst müsse geklärt werden, ob der Fremde minderjährig sei, denn dann muss er nicht in Schubhaft sondern zur Jugendwohlfahrt. Auch der verstorbene 32-jährige Inder hatte versucht, sich als Jugendlicher auszugeben.

Bis vor zwei Jahren musste sich mit diesen sensiblen Recherchen die jeweils zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden herumschlagen, was viele Beamte hoffnungslos überforderte. Daher hat man diese Aufgabe zentral im BMI zusammengezogen. Viele Länder haben beim Procedere nämlich ihre eigenen Spielregeln, "die wir nicht immer durchschauen", so Ecker. So bräuchten etwa die serbischen Behörden ganze zwei Monate für die Ausstellung von Reisedokumenten, "andere schaffen das in zwei bis drei Wochen", sagt Ecker. Habe man erst einmal die Papiere, sei es meist nur noch "eine Frage weniger Tage, bis die Rückreise gebucht und der Schubhäftling auf der Heimreise ist", so BMI-Sprecher Gollia.

"Fünfstellige Zahl"

Jene Fälle, wo dies nicht gelingt, müssen irgendwann freigelassen werden; je nachdem, wie oft sie schon beamtshandelt wurden. Denn die zehn Monate maximal erlaubter Schubhaft-Dauer bezieht sich auf zwei Jahre. Manche versuchen, sich diese Zeit mittels Hungerstreik zu ersparen (laut BMI jeder dritte Schubhäftling).

Andere würden diese "Stehzeit" einkalkulieren, die zehn Monate absitzen und sich ansonsten einfach illegal in Österreich aufhalten: "Manche leben bei und von Angehörigen, andere gehen schwarzarbeiten, andere sind kriminell", beschreibt Ecker die Praxis. Wie viele solche Menschen mit Aufenthaltsverbot in Österreich verdeckt ihr Dasein fristen, will niemand genau wissen – eine "fünfstellige Zahl" sei laut Gollia "nicht unrealistisch".

Quelle: Printausgabe Wiener Zeitung 24.09.09

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