Ein Inder ist tot, 173 Menschen warten im Anhaltezentrum Hernals weiter auf ihre Abschiebung. Wer keine Familie im Land hat, kann sich keinen Fernseher bringen lassen. Und schaut durchs Fenster. Ein Lokalaugenschein. -von TERESA SCHAUR-Wünsch
Mittags um eins. Der Verkehr rauscht über den Hernalser Gürtel. Gleich daneben, hinter den dicken Mauern des Polizeianhaltezentrums (PAZ), liegt eine andere Welt, eine Zwischenwelt. Wer hier drinnen ist, ist verschluckt. Nicht mehr ganz da – aber auch noch nicht weg. In Schubhaft.
Milanka betritt das Gebäude durch einen diskreten Seiteneingang in der Breitenfelder Gasse. Der diensthabende Polizist kennt die Mitarbeiterin des Vereins Menschenrechte, die für Serben und Rumänen zuständig ist. Er steht auf und geleitet sie zur versperrten "Besucherzone". In dem kahlen Raum stehen ein paar Tische, an jedem sitzt eine Betreuerin mit ein, zwei Männern. Das Stimmengewirr ist vielsprachig, in der Luft hängen Schweiß und Rauch. Milanka zeigt dem Polizisten, der das Geschehen überwacht, die Liste der Menschen, mit denen sie heute sprechen will.
Keine Staatsbürgerschaft. Auf der Liste steht S. Der korpulente 39-Jährige mit Halskette lebt seit 33 Jahren in Österreich, spricht original Wienerisch und kennt das PAZ Hernals schon ziemlich gut: Er ist seit mehr als fünf Monaten hier. Denn: Kein Land will ihn. Er sei kein serbischer Staatsbürger mehr, sagt Serbien. Er ist kein Österreicher, sagt Österreich. "Das dürfte nicht passieren", sagt Milanka, seine Betreuerin vom Verein Menschenrechte.
Rausfliegen soll S., weil er straffällig geworden ist. Seine Strafe – drei Monate in Haft, neun als Freigänger – hat er längst verbüßt, doch sein Aufenthaltsrecht hat er vorerst verwirkt – auch wenn er keine Ahnung hat, was er in Serbien soll. Weshalb er auch immer wieder kommt – und wieder in Schubhaft landet. Die, findet er, sei schlimmer als Gefängnis. "Im Gefängnis, da weiß man, wann man rauskommt." Dort sei er auch mit seiner 13-jährigen Tochter an einem Tisch gesessen. In der Schubhaft sind Häftlinge und Besucher durch eine Glaswand getrennt und müssen über einen Telefonhörer sprechen.
Problem Hygiene. Dass die Haftbedingungen in den Anhaltezentren schlimmer sind als in der Strafhaft, findet nicht nur er. Dasselbe sagt etwa auch Reinhard Klaushofer, Leiter der Linzer Kommission des Menschenrechtsbeirats, der die Bedingungen in der Schubhaft regelmäßig kritisiert. Auch in anderen Bereichen sind Menschenrechtsbeirat und S. einig. "Die Hygiene", sagt S. und streckt seine Hände aus, an denen ihm die Haut abgeht. Die verschriebene Salbe helfe nicht. "Aber die Doktoren, die interessiert das alles nicht."
Wobei Hautpilz in Schubhaft noch das geringste Problem ist. Erst am Vortag sei ein Häftling mit offener TBC entdeckt worden, berichtet Betreuerin Milanka. Ein ernstes Problem, wie auch ihr Chef, Günter Ecker, weiß. Seine Mitarbeiter haben daher auch Auftrag, ihre Schützlinge auf die angebotenen Untersuchungen hinzuweisen.
Asylrecht auf Chinesisch. Auch sonst beraten seine Mitarbeiter die Schubhäftlinge streng nach Vorschrift, sprich: laut Vertrag mit dem Innenministerium. "Wir versuchen, die asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren verständlich zu machen", erklärt er. Auf Georgisch wie auf Chinesisch. "Welches Verfahren läuft, wie ist der Stand, welche Schritte sind zu erwarten?" Auch würden seine Mitarbeiter, die die Herkunft der Schubhäftlinge widerspiegeln, Kontakt zu Angehörigen herstellen und helfen, notwendige Dokumente zu organisieren.
Nicht inkludiert ist Rechtsberatung über Rechtsmittel wie etwa Berufungen. "Das ist nicht Teil unserer Aufgabenstellung. Wir tragen dazu bei, dass die Leute mitwirken, und beschleunigen so die Verfahren." Eine Auffassung, die von Mitbewerbern wie Caritas und Diakonie heftig kritisiert wird, mit der es der Verein mittlerweile aber quasi zum Monopolisten gebracht hat. Nur in Vorarlberg und der Steiermark hat noch die Caritas Verträge.
Die Wachbeamten im Anhaltezentrum Hernals nehmen es nicht so genau damit. "Manche kündigen uns immer noch als Caritas an", lacht Milanka. Weshalb sie und ihre mehrheitlich weiblichen Kolleginnen stets ihre Ausweise um den Hals tragen. Damit es keine Missverständnisse gibt. Die Kommunikation sei auch so nicht immer einfach. "Auch wenn wir mit den Leuten in ihrer Muttersprache sprechen, wollen uns viele gar nicht verstehen."
Mit den beiden verschwitzten jungen Serben hat sie es da geradezu leicht. Die zwei, die gerade vom Basketballspielen kommen – genau eine Stunde am Tag darf man sich im PAZ bewegen –, sind seit drei Wochen in Schubhaft. Dass sie nicht bleiben können, damit haben sie sich abgefunden. Schon im ersten Gespräch haben sie einer "freiwilligen Rückkehr" zugestimmt. Das Problem: Sie haben keine gültigen Papiere. Milanka hat mit ihnen beim serbischen Innenministerium um Zustimmung zur Ausstellung von Reisezertifikaten angesucht. Doch das Schreiben lässt auf sich warten, und warten müssen die Männer in Schubhaft.
Privilegien. Unter den Häftlingen sind die beiden privilegiert: Sie sind "Hausarbeiter", putzen, teilen Essen aus. Dafür dürfen sie sich frei im Stockwerk bewegen, wohnen zu viert in einer Achterzelle, bekommen Extra-Essen ("Zulagen" in Form von Wurst und Käse zum Frühstück, dazu Zigaretten) und: Sie müssen ihre Schubhaft nicht bezahlen. Für alle anderen kostet sie 29,50 Euro pro Tag. Dennoch wollen die beiden nur noch raus.
Manche greifen zu drastischen Mitteln. Hungerstreik etwa sei häufiger geworden, sagt Ecker. Dazu, berichtet S., wollen alle in das Gefängnis auf der Rossauer Lände. Dort, so heißt es, werde nur der Gewichtsverlust gemessen, in Hernals der Blutzuckerspiegel. Weshalb manche blutzuckersenkende Medikamente nehmen, die ihnen gefährlich werden können.
Die Stimmung im Haus, sagt S., die könne man jedenfalls nicht beschreiben. Wer hier Familie habe, der könne sich aber wenigstens einen Fernseher bringen lassen. "Wer keine hat, schaut durchs Fenster. 23 Stunden am Tag."
Quelle: Die Presse