Die schärfere Gangart gegen Fremde hat vor allem auf die Schubhaft Auswirkungen. Die Zellen sind voll. Dadurch kommt es bei der Betreuung der Insassen zu Engpässen. MARIA ZIMMERMANN
2006 war kein gutes Jahr für Ana. Anders gesagt: Schlimmer hätte es gar nicht kommen können. Am 14. Februar verließ die 22-Jährige ihre Heimat Serbien in Richtung Griechenland. Voller Hoffnung. Ein Bekannter hatte ihr einen gut bezahlten Job als Tänzerin in der EU versprochen. Stattdessen zwang er sie zur Prostitution. Erst in Griechenland, dann in Italien. Bis Ana die Flucht gelang. Über Umwege kam sie nach Ungarn, beantragte Asyl, versuchte mit einer Gruppe über die Grenze nach Österreich zu kommen, wurde erwischt. Das war vor einem Monat. Seither sitzt sie in Schubhaft.
Einer dieser Fälle, bei denen es letztlich nur Verlierer gibt: Ana, die als Serbin kaum Chance auf Asyl in der EU hat. Und irgendwie auch Österreich, das mit Schicksalen konfrontiert ist, für die es von Rechts wegen einfach nicht zuständig ist.
Ana ist eine von 65 Frauen, die im Polizeianhaltezentrum (PAZ) Roßauer Lände auf ihre Abschiebung warten. Insgesamt sitzen in Wien derzeit rund 300 Schubhäftlinge (großteils Männer) ein. Das sind deutlich mehr als im Vorjahr: Damals waren von Jänner bis September rund 2200 Menschen hinter Schubhaft-Gittern, heuer waren es im selben Zeitraum um rund 400 mehr. Österreichweit ist die Zahl der Schubhäftlinge laut Innenressort sogar um 18 Prozent gestiegen.
Ein Mal pro Woche Besuch: Durch die Scheibe reden
Grund ist das umstrittene strengere Fremdengesetz: Die Schubhaft wird seit einem Jahr nicht nur länger, sondern auch öfter verhängt - so etwa auch über Asylbewerber, für deren Verfahren ein anderes EU-Land zuständig ist ("Dublin-Fälle").Also auch über Ana, für deren Verfahren Ungarn zuständig ist. Statt in einem Flüchtlingsheim auf die Überstellung zu warten, wie das bis vor einem Jahr gewesen wäre, sitzt sie nun in einer Zelle. Drinnen stehen ein Bett, eine Holzbank, ein Tisch. Es gibt ein vergittertes Fenster, eine Steckdose, ein Waschbecken, ein WC. Ana hat Glück: Sie hat eine eigene Zelle. Großteils leben sechs Frauen in einem Raum.
Obwohl das einzige Vergehen von Schubhäftlingen der illegale Aufenthalt in Österreich ist, unterscheiden sich die Haftbedingungen kaum von denen der Strafhaft. Pro Tag gibt es eine halbe Stunde Auslauf im vergitterten Hof, pro Woche darf jeder Schubhäftling eine halbe Stunde lang Besuch empfangen. Das Gespräch läuft über einen Hörer, Besucher und "Schübling" sind durch eine Scheibe getrennt.
PAZ-Kommandant Josef Zinsberger ist klar, dass das nicht ideal ist. "Aber damit bleiben illegale Substanzen wie Drogen draußen", sagt er. Besucher dürfen nur Geld und Zigaretten schenken. Kein Essen, keine Kleidung, keine Bücher.
In der Frauenabteilung herrscht immerhin während des Tages "offener Vollzug". Das heißt, dass zwischen sieben und 17 Uhr die Zellentüren offen stehen. Den Männern ist solcher Luxus nicht gegönnt.
Ana vertreibt sich die Zeit damit, an ihre Familie Briefe zu schreiben oder Karten zu spielen. Sie hat keine Ahnung, wie lange sie noch dableiben muss. Da sie keine Papiere bei sich hatte, muss erst ihre Identität überprüft werden. Dann heißt es noch auf die Zustimmung Ungarns warten. Im Regelfall, sagt Günter Ecker vom Verein Menschenrechte, der die Schubhäftlinge betreut, geht das binnen Tagen. In Ländern wie Italien, Griechenland oder Spanien mahlen die Mühlen der Bürokratie aber langsamer. Ecker: "Das kann zwei bis drei Monate dauern."
Bei Marija, auch sie ist Serbin, ging alles schnell. Vor vier Tagen wurde die 34-Jährige beim Schwarzarbeiten in einem Wirtshaus erwischt. Am Freitag wird sie abgeschoben. Zwei Jahre hat sie in Österreich als U-Boot gelebt. "Hier hab ich mehr verdient, als es in Serbien je möglich wäre", sagt sie. Nun heißt es zurück an den Start: "Ich fühle mich wie in einem Labyrinth, wo man immer wieder von vorn beginnt und nie ans Ziel kommt."
Jeder Vierte in Schubhaft kehrt freiwillig heim
Für Marija und viele andere Insassen ist der Verein Menschenrechte das einzige Fenster zur Außenwelt. Die sechs Mitarbeiter beraten sie in ihren Muttersprachen und helfen, soweit es möglich ist. "Da es aber mehr Schubhäftlinge gibt, gibt es wesentlich mehr Arbeit", sagt Ecker. Sein Team wurde nicht aufgestockt. Daran wird sich auch im nächsten Jahr nichts ändern. "Uns fehlen im Schnitt zwei Leute. Darunter leidet die Betreuung unserer Klienten natürlich massiv." Positiv sieht er folgendes: "Jeder vierte Schubhäftling in Wien kehrt nach eingehender Beratung bereits freiwillig in seine Heimat zurück."Gar nicht positiv ist, dass auch der Verein Dialog, der die Schubhäftlinge psychiatrisch betreut, mehr und mehr Arbeit bekommt. Die Betreuung wurde 2006 sogar verdoppelt. Ebenfalls eine Folge der neuen Gesetze: Auch traumatisierte Asylbewerber können in Schubhaft genommen werden. "Die Klientel, die wir heute haben, ist aber insgesamt psychiatrisch auffälliger", sagt Kommandant Zinsberger. Vor allem Tschetschenen seien schwierig zu behandeln, sagt er.
Im Schnitt wird nur die Hälfte aller Schubhäftlinge tatsächlich abgeschoben: Die anderen werden wieder auf die Straße gestellt, weil keine Ausreise in Sicht ist, weil sie freiwillig zurückkehren oder weil sie haftunfähig sind - Stichwort Hungerstreik (siehe unten). Die im neuen Gesetz vorgesehene Regelung, dass Schubhäftlinge auch zwangsernährt werden können, kam bisher noch nie zur Anwendung, sich übers Hungern freipressen funktioniert immer noch. Daran denkt Ana nicht. Sie will jetzt nur eines: Nach Hause. Ihr innigster Wunsch: "Dass ich meinen nächsten Geburtstag mit meiner Familie feiern kann."
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