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Neuere Artikel                                                   08.07.2005                                                   Ältere Artikel


Hungerstreik. Experten berichten über Praktiken. (von Claudia Dannhauser - Die Presse)

Pressetext 08-07-2005


WIEN.

Zum Zeitpunkt, als im Parlament das neue Asylgesetz beschlossen wurde, befanden sich in Wien gerade 30 Schubhäftlinge in Hungerstreik (von insgesamt 145 Häftlingen). Eine leicht überdurchschnittliche Zahl, weil seit April Hungerstreikende in Gemeinschaftszellen bleiben und nicht isoliert werden. Das Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände ist Baustelle, der Platz beengt. Auch in der Anstalt am Hernalser Gürtel wollte man keine anderen, härteren Bedingungen schaffen.

"Das hat dann eine gewisse Gruppendynamik", erzählt Günter Ecker, Geschäftsführer des Vereins Menschenrechte und Mitglied des Menschenrechtsbeirates, der das Innenministerium berät. "Hungerstreik ist nämlich auch ein soziales Phänomen", so Ecker, der die vom Ministerium jüngst kolportierte Zahl von mehr als 1000 freigepressten Schubhäftlingen revidiert. "Da waren Fehlermeldungen dabei, vergangenes Jahr waren es exakt 362."

Dennoch, auch die sind ein Problem, und sie sind vor allem schwer davon abzubringen. "Rational ist es ja vernünftig", meint Ecker. Keiner komme in ein anderes Land, um wieder abgeschoben zu werden. Wirkt das Mittel, spricht es sich herum. Wilfried Kovarnik, Leiter der Fremdenpolizei Wien, erzählt: "Die werden schließlich nicht auf der Bahre hinausgetragen. Sie gehen hoch erhobenen Hauptes hinaus, und sie werden wie Helden gefeiert."

Tritt ein Schubhäftling in Hungerstreik, wird er täglich vom Amtsarzt untersucht. Erst wenn Blutzucker, Blutdruck und Gewicht gesundheitliche Folgen befürchten lassen, wird der Häftling freigelassen. In der Regel ist das nach 14 Tagen der Fall. Natürlich, so erzählen Ecker wie Kovarnik, gibt es Hungerstreikende, die ihr Essen verweigern, sich aber am Essen der anderen bedienen. "Da kann dann einer 100 Tage lang im Hungerstreik sein, und er wird trotzdem nicht für haftunfähig erklärt", so Ecker. Die meisten kommen wieder, weil sie aufgegriffen werden. Und, so Ecker: "War einer drei, vier Mal in Hungerstreik, hat er auch gesundheitliche Schäden. Viele klagen über Nierenschmerzen. Da sie aber nicht krankenversichert sind, werden sie nicht behandelt. Das kann man ihnen noch so oft sagen, das geht bei einem Ohr rein, beim anderen raus." Und es gibt eine nicht zu kleine Gruppe, die - nach krimineller Handlung, Verurteilung, Haft - zwischen Justizanstalt und Schubgefängnis hin und her wandert. Gehungert wird nur in Zweiterem, vor der Abschiebung.

Zu den Härtesten, die immer wieder kommen und gehen, zählen Nordafrikaner (Marokkaner, Tunesier, Algerier) und Georgier. Letztere haben häufig ein strafrechtliches Vorleben. Überdurchschnittlich häufig treten auch (meist unbescholtene) Inder und Chinesen (darunter vor allem Frauen) in Hungerstreik. "Sie sind meist von den Schleppern oder der Familie instruiert, sich per Hungerstreik oder Selbstbeschädigung freizupressen", erzählt Ecker.

Aufgrund seiner Erfahrungen ist er "kein Freund einer Zwangsernährung, die durchgeführt wird. Ich erwarte mir von einer gesetzlichen Regelung aber eine gewisse präventive Wirkung." Auch Kovarnik hält die Neuregelung für wichtig und glaubt an eine Reduktion der Hungerstreikenden.

Hungerstreik

90% der Hungerstreidenden haben die Freilassung als Ziel, der Rest isst aus psychologischen Gründen nicht. An die 50% gehen tatsächlich frei. Im Mai waren es in Wien 35 Schubhäftlinge. 26 waren in kriminelle Handlungen verwickelt, 17 bereits verurteilt, bei neun läuft ein Verfahren. Viele kommen wieder in Haft und hungern sich wieder frei.
 
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