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Neuere Artikel                                                   07.07.2005                                                   Ältere Artikel


Das Dilemma Schubhaft (von Maria Zimmermann - Salzburger Nachrichten)

Pressetext 07-07-2005


Schubhaft ist nicht gleich Strafhaft - in der Praxis gibt es kaum einen Unterschied. Manche kommen immer wieder hinter Gitter - und genauso oft wieder hinaus.

Herrn M. ist kalt. Er hat nur ein kurze Hose und eine dünne Baumwolljacke an. Aber das ist nicht der Grund, warum ihn friert. Er ist im Hungerstreik. Seit mehr als zwei Wochen hat Herr M., der als Ukrainer keine Chance auf Asyl hat, keine feste Nahrung zu sich genommen. "Er ist schon Stammgast", sagt seine Schubhaftbetreuerin vom Verein Menschenrechte Österreich. Herr M. wurde in den vergangenen zwei Jahren vier Mal wegen Hungerstreiks aus der Schubhaft entlassen. Das heißt: Er wurde wegen Haftunfähigkeit auf die Straße gestellt und war wieder frei. So wird es auch diesmal sein.

Alltag im Polizeianhaltezentrum (PAZ) Hernalser Gürtel in Wien: Hier und in der Roßauer Lände sind jene Schubhäftlinge untergebracht, die in Wien auf ihre Abschiebung warten. Im Vorjahr saßen rund 10.000 Menschen österreichweit wegen illegalen Aufenthalts in Schubhaft - die Hälfte davon in Wien. Insgesamt 1072 pressten sich nach Angaben des Innenministeriums durch Hungerstreik frei. Es handelt sich um eine der wenigen Möglichkeiten, der Abschiebung zu entkommen. "Ein Schubhäftling ist ein Verwaltungshäftling. Er ist daher zu entlassen, wenn er haftunfähig ist", sagte Major Walter Artinger vom PAZ. Weniger später werden die eben Entlassenen oft bei Routinekontrollen oder kleineren Delikten wieder mitgenommen.

Abschrecken durchZwangsernährung Hungerstreiks sollen bald mit der umstrittenen Zwangsernährung der Vergangenheit angehören. Das Innenministerium hofft, dass die Ernährung wider Willen erst gar nicht verordnet werden muss. Man wolle abschrecken, heißt es.

Derzeit hungern in Wien 24 Schubhäftlinge. Herr M. musste wie alle anderen ein Formular unterschreiben, dass er sich der gesundheitlichen Folgen des Hungerstreiks bewusst ist. Tag für Tag wird er dem Amtsarzt vorgeführt. Der wiegt ihn ab, misst den Blutdruck. Nach rund 14 Tagen stellt er normalerweise die Haftunfähigkeit fest. Das heiße aber nicht, dass total geschwächte Menschen auf die Straße gestellt würden, sagte Artinger. "Wir gehen nicht bis ans Limit."

Betreut werden die Schubhäftlinge von zehn Mitarbeitern des Vereins Menschenrechte. In 23 Sprachen versuchen sie den Inhaftierten, den Alltag zu erleichtern. Drogenabhängige betreut seit ein paar Jahren der Verein Dialog. Ärzte helfen den Patienten auch psychisch.

Wer in Schubhaft ist, hat sich einzig des Vergehens schuldig gemacht, illegal in Österreich zu sein. Die Haftbedingungen unterscheiden sich dennoch kaum von denen in der Strafhaft: Offenen Vollzug gibt es nur für Frauen (derzeit 17), die Menschen sind in Vier- bis Achtbett-Zellen untergebracht, Besuch darf nur am Wochenende kommen.

Hilfsorganisationen und Asylexperten steigen daher auf die Barrikaden, wenn es um die Neuregelungen der Schubhaft geht: Diese kann ab nächstem Jahr nicht nur länger, sondern auch öfter verhängt werden - auch über Menschen, für deren Asylverfahren ein anderes EU-Land zuständig ist, die so genannten Dublin-Fälle.

Überstellungsverfahren können aber bis zu zwei Monate lang dauern - das heißt für die unbescholtenen Asylbewerber, zwei Monate hinter Gittern zu warten. Selbst Traumatisierte könnten in Schubhaft kommen, wird kritisiert. Die Psychotherapeutin Barbara Preitler verweist auf die gesundheitliche Gefahr von Abschiebung und Schubhaft für Opfer von Gewalt und Folter: "Menschen, die traumatische Situationen überlebt haben, brauchen rasch einen sicheren Ort, um sich erholen zu können", sagt die Expertin von der Uni Klagenfurt. Schubhaft sei das Gegenteil davon. Die Wahrscheinlichkeit, dass Opfer langfristig an post-traumatischen Störungen erkrankten, steige. Der Leiter der Fremdenpolizei Wien, Stefan Stortecky, sieht das anders. Schubhaft werde sehr restriktiv verhängt. Dass Traumatisierte in Schubhaft kommen, glaube er nicht. Auch bei Dublin-Fällen sei das unwahrscheinlich. Die Verschärfungen seien nötig, um auf die aktuelle Situation zu reagieren.

Niemand will zurückin seine Heimat Von 5000 Schubhäftlingen in Wien konnten im Vorjahr nur 3000 abgeschoben werden: Die anderen pressten sich durch Hungerstreik frei. Oder sie stellten aus der Schubhaft heraus einen Asylantrag und es zeichnete sich ab, dass die Bearbeitung des Antrags länger als sechs Monate dauern wird - also länger, als die Schubhaft innerhalb von zwei Jahren maximal dauern darf. Oder die Feststellung ihrer Identität dauerte so lange, dass sie entlassen wurden. Bald kann die Schubhaft zehn Monate lang verhängt werden. Bei straffällig gewordenen Fremden und Asylbewerbern, die ihre Haft schon abgesessen haben, werde geschaut, dass das Abschiebungsverfahren schon parallel zur Strafhaft eingeleitet werde, sagte Stortecky. "Damit die Schubhaft so kurz wie möglich gehalten wird." Österreichweit dauert die Schubhaft im Schnitt pro Person 40 Tage. Länger als drei Monate saßen im Vorjahr in Wien nur 136 von 5000 Personen.

Fast keiner ihrer Klienten wolle in seine Heimat zurückkehren, sagte Herrn M.s Betreuerin. Der Ukrainer wird wahrscheinlich in den nächsten Tage wieder auf die Straße gesetzt - und über kurz oder lang wieder eingesperrt werden. Geht er dann wieder in Hungerstreik, riskiert er die Zwangsernährung.
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