Pressetext 10-05-2005
Günter Ecker vom Verein Menschenrechte im derStandard.at-Interview über die Sinnhaftigkeit der Zwangsernährung mangels Alternativen
Das neue österreichische Fremdenpolizeigesetz sieht das Mittel der Zwangsernährung bei Hungerstreik in der Schubhaft vor. Nach Angaben des Innenministeriums traten im vergangenen Jahr etwa 12 Prozent der Schubhäftlinge in Hungerstreik, um eine Haftentlassung wegen krankheitsbedingter Haftunfähigkeit zu erzwingen. Sie "tauchen unter" und werden häufig nach kurzer Zeit wieder angehalten. Die Aussicht auf einen legalen Aufenthalt in Österreich fehlt, Wiederaufnahmen der Asylverfahren kommen selten vor. Günter Ecker vom Verein Menschenrechte geht davon aus, dass die Zahl der Hungerstreikenden rapide abnimmt, sobald sich herumgesprochen hat, dass dieses Mittel nicht mehr zur Entlassung führt.
derStandard.at: Wie ist der Standpunkt des Vereins Menschenrechte Österreich zur geplanten Zwangsernährung von Schubhäftlingen?
Günter Ecker: Seit März 2003 legen wir einen besonderen Augenmerk auf dieses Problemfeld und eventuelle Lösungen. In diesen beiden Jahren haben wir eine Studie betrieben, deren wichtigste Erkenntnis war, dass der Hungerstreik nicht auf Probleme im Vollzug zurückzuführen ist. 90 Prozent der Flüchtlinge haben angegeben, mit Hilfe des Hungerstreiks aus der Schubhaft freikommen zu wollen. Die Frage ist, wie geht man mit einer solchen Situation um, schließlich sind diese Leute aufgrund geltender Gesetze in Schubhaft.
derStandard.at: Wie reagierten Sie in der Praxis der Flüchtlingsbetreuung bisher auf diese Situation?
Günter Ecker: Wir konnten den Anteil der Schubhäftlinge im Hungerstreik mit gezielter Aufklärung, mit Gesprächen und Perspektivenaufklärung um 30 Prozent verringern. Aber trotzdem ist der Zustand, so wie er ist, einfach untragbar und unzufriedenstellend. Wenn man alles beim Alten lässt, wird das Problem nur auf die Polizeianhaltezentren verlagert. Nach durchschnittlich drei Wochen werden Schubhäftlinge, die in Hungerstreik sind, enthaftet. Zu diesem Zeitpunkt sind nur die Stärksten noch in guter Verfassung. Meist wird der Schubhäftling kurze Zeit nach der erzwungenen Entlassung erneut angehalten und das Spiel beginnt von vorne. Das ist auf Dauer keine Lösung, denn mit Hungerstreiks wird ja kein legaler Aufenthalt erreicht.
derStandard.at: Aber ist Zwangsernährung eine Lösung?
Günter Ecker: Nein, wobei ich auch glaube, dass man sorgsam unterscheiden muss zwischen den gesetzlichen Bestimmungen, die Hungerstreik unterbinden sollen und der realen Anwendungssituation. Ich bin der Überzeugung, dass es, gibt es die theoretische Möglichkeit der Zwangsernährung, kaum mehr Hungerstreiks geben wird. Denn der Schritt zum Hungerstreik ist natürlich sehr interessensbezogen. Wenn es diese Chance aus der Schubhaft entlassen zu werden nicht mehr gibt, dann werden die Schubhäftlinge auch nicht mehr zum Mittel Hungerstreik greifen.
derStandard.at: Zu Beginn wird das Mittel der Zwangsernährung wohl kaum rein theoretisch sein.
Günter Ecker: Ich gehe von einer schwierigen Übergangszeit aus. Selbst wenn der Schubhäftling die Information, dass ihm Zwangsernährung drohen könnte, vom Schubhaftsbetreuer erhält, wird er es erneut versuchen. Exemplarische Fälle sind sicher die Grundlage dafür, dass sich herumspricht, dass Hungerstreiks als Mittel ungeignet sind. Danach reicht es, die "Rute ins Fenster" zu hängen.
derStandard.at: Viele Experten gehen aber davon aus, dass die Zwangsernährung nicht verfassungskonform ist.
Günter Ecker: Dieses Thema wird sicher durch die Instanzen getragen. Ich traue mir aber keine Prognose zu, ob die Zwangsernährung vor dem Verfassungsgerichtshof halten wird oder nicht. In der Justiz ist die Zwangsernährung zum Beispiel sehr wohl ein Mittel, das rechtlich gilt. Im Asylbereich geht es um die Verhältnismäßigkeit in der Anwendung. In Wien zum Beispiel treten 18 bis 19 Prozent der Schubhäftlinge in Hungerstreik. Werfe ich nun das Mittel der Zwangsernährung in eine Waagschale und in die andere die Tatsache, dass Menschen wochenlang systematisch hungern und sich selbst gefährden in eine andere, dann ist die Zwangsernährung aus meiner Abwägung heraus durchaus vertretbar.
derStandard.at: Welche Schubhäftlinge treten erfahrungsgemäß überdurchschnittlich oft in den Hungerstreik?
Günter Ecker: Das ist unterschiedlich, aber bestimmte Nationalitäten sind unter den Hungerstreikenden überrepräsentiert, zum Beispiel Menschen aus nordafrikanischen Ländern oder den GUS-Ländern. Marokkaner, Algerier oder Tunesier gehören oft zu den Propagandisten des Hungerstreiks in Schubhaft. Jeder, der einmal erfolgreich aus der Haft entlassen wurde, gilt als "Hero". Die Leute sehen ja nicht, dass diejenigen ohne medizinische Versorgung und Zukunft auf der Straße stehen. Trotzdem sind die "Erfolgreichen" die Multiplikatoren, die andere zu diesem Schritt ermutigen. An dieser Stelle muss man auch anmerken, dass in der Schubhaft zwar niemand ist, weil er etwas verbrochen hat, dass aber unter den Hungerstreikenden ein hoher Anteil mit einer strafrechtlichen Vergangenheit ist.
derStandard.at: Treten auch Frauen in den Hungerstreik?
Günter Ecker: Ja, das kommt durchaus vor. Interessanterweise sind das viele Ukrainerinnen. Aber egal ob Männer oder Frauen, Fakt ist, dass Hungerstreikende oft mehrmals dieses Mittel einsetzen, obwohl ihnen völlig klar ist, dass medizinische Langzeitfolgen entstehen können und sie in Österreich keine legale Perspektive haben.
derStandard.at: Welche Alternativen wurden von den NGOs ausgearbeitet?
Günter Ecker: Von den NGOs kamen viele Vorschläge während des Begutachtungsverfahrens. Die zentrale Alternative, die man sieht, setzt bei der Betreuung der Schubhäftlinge an. In Beratungsgesprächen sollen die Schubhäftlinge von der Sinnlosigkeit des Mittels Hungerstreik überzeugt werden. Wie schon Beginn des Gesprächs erwähnt, konnten unsere Betreuer mit dieser Methode die Hungerstriks um etwa ein Drittel verringern. Das ändert nichts am Grunddilemma. Von einer Betreuungsorganisation kann man nicht erwarten, dass sie politische Probleme löst. Die Jetztsituation ist für uns sehr frustrierend. Mit der Zwangsernährung begibt man sich sicher in ein menschenrechtliches Dilemma, wenn der Hungerstreik aber damit verschwindet, ist diese Variante die bessere.
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